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Wer nicht will, der hat schon

Doch sie tun es: die Top-Executives, Firmenchefs, Geschäftsführer – sie alle sind längst in der digitalen Welt unterwegs.

Top-Executives, Firmenchefs, Geschäftsführer – sie alle sind längst in der digitalen Welt unterwegs. Dennoch tun sich einige Entscheider immer noch schwer damit – und stellen sich damit beim Umsatz wie bei der Akquisition selbst ein Bein. Eine altmodische Haltung, die dem Unternehmen schadet.

Neulich beim Kundentermin. Wie immer bittet mich die Sekretärin in den Besprechungsraum, der gleichzeitig Chefbüro ist. Wie immer stehen leckerer Kaffee und frisches Wasser bereits auf dem Tisch und ebenso wie immer – eine DIN4-Mappe mit meinem Namen. Darin, fein säuberlich ausgedruckt, jede Menge Dokumente, Gesprächsnotizen und, man mag es kaum glauben, unsere E-Mail-Korrespondenz der vergangenen Wochen. Die E-Mail-Ausdrucker – oder Ausdrucken-Lasser –, sie leben also immer noch!

Gut, dieser Unternehmer ist längst im Alter Silver-Surfer. Und sei ihm diese Marotte, diese Spleenigkeit, dieses Festhalten an alten Gewohnheiten vergönnt, es kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die absolute Mehrheit auch des C-Levels längst in der digitalen Erlebniswelt angekommen ist. Dennoch tun sich einige Entscheider weiterhin schwer mit dieser Tatsache. Sie denken noch immer, dass ab einem bestimmten Karrierelevel weiterhin gefiltert gearbeitet, gewissermaßen auch digital vorgekostet wird. Dass den CEO oder Geschäftsführer längst nicht alle digitalen Inhalte erreichen wie den Otto-Normalmitarbeiter. Dass diese Gruppe in Einzelfällen weiterhin eine tradierte, individuelle Ansprache der alten Schule benötigt, das mag im Einzelfall auch so sein, aber im Großen und Ganzen ist diese Haltung überholt. Dazu reicht der Blick auf einige aktuelle Zahlen.

Alle sind „selbst“ online, alle

Nach der bekannten ARD-ZDF-Onlinestudie sind demnach 63,3 Millionen Menschen in der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren online, dies entspricht einem Anteil von 90,3 Prozent. Die Steigerung liegt bei 0,9 Millionen beziehungsweise 1,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Besonders deutlich ist die Zahl der Menschen gestiegen, die das Internet täglich nutzen, das Plus liegt hier bei 3,8 Millionen. Seit 2015 hat sich dieser Personenkreis um knapp 10 Millionen Menschen, von 44,5 auf 54,0 Millionen, erhöht und liegt aktuell bei 77 Prozent. Zieht man dann aus diesen Zahlen diejenigen ab, die vielleicht gar nicht mehr online gehen können, weil zu jung, zu alt, weil sie körperlich eingeschränkt sind oder sich auch dem Thema Digital komplett verweigern, lässt sich vereinfacht sagen: jeder Chef ist online, und das nahezu täglich. Absurd zu denken, dass der Unternehmer dabei nicht selbst an der Tastatur sitzt, den Wettbewerb beobachtet, nach Ideen sucht, nach Kooperationspartnern oder anderen Informationen jedweder Art?

Social Media ist Entscheider-relevant

Anderes Beispiel: die professionelle Social Media-Nutzung. Deutschland hat durchschnittlich 44 Millionen Erwerbstätige. Davon sind 20 Prozent im so genannten Hochlohnbereich tätig. Zur Erklärung: Ist der Verdienst eines Beschäftigten größer als das Eineinhalbfache des Medianverdienstes, so wird von Hochlohn gesprochen. Und das bei einem Durchschnittsverdienst laut statistischem Bundesamt von 3.771 Euro. Das Karrierenetzwerk XING allein hat jedoch bereits gut 12 Millionen Mitglieder und sagt von sich selbst, dass 37 Prozent dieser Menschen in „leitenden Führungspositionen“ tätig sind. Und in diesen Zahlen sind ungleich größere Netzwerke wie Facebook oder das für Manager und Chefs aus international agierenden Unternehmen ungleich interessantere LinkedIn noch nicht einmal berücksichtigt.

Selbst wenn man annimmt, das die XING-eigenen Zahlen deutlich zu großzügig angesetzt sind und selbst dann, wenn man noch einige Prozentpunkte davon abzieht, so lässt sich dennoch der valide Schluss ziehen, dass auch Unternehmer schauen, wie sich der Kollege weiterentwickelt, welche Diskussionen gerade die Netze beherrschen und welche Investitionen für sein Unternehmen relevant sein könnten.

Der gute alte „Lurker“

Natürlich kann online oder XING-Mitglied zu sein auch Passivität bedeuten. Und kein Chef wird seine Firmenstrategie granular auf LinkedIn darlegen oder sich in XING-Diskussionen ratlos darstellen, so dass man hier fein unterscheiden muss zwischen Informations- und Diskussionsbedürfnis, aber: Kaufentscheidungen werden mit hoher Wahrscheinlichkeit in der digitalen Welt zumindest massiv beeinflusst. Und dabei ist es egal, ob es um den Endanwender auf der Suche nach einem Kartoffelschäler geht oder den Executive, der einen kompetenten Anwalt für seine Kartellrechtsklage sucht. Nicht allein der Handel also ist davon betroffen. Dieses Phänomen ist völlig branchenübergreifend zu beobachten.

Im Ergebnis bedeutet das alles: Wer sich dieser Entwicklung gerade aus Marketing- und Vertriebssicht verschließt, schießt sich ins eigene Knie. Top-Zielgruppen jedweder Couleur googlen selbst, sind in Social Media aktiv und nutzen digitale Plattformen intensiv. Logisch, dass der Firmenchef selten Beiträge kommentiert oder Postings liked, aber er ist da, auf jeden Fall. Das gute alte Phänomen des Lurkers betrifft sicher auch einiges CEOs. Interaktionen, das A und O der sozialen Kanäle, deren Messbarkeit, ja, das scheidet ein Stück weit aus, sagt aber eben auch zu keiner Zeit, dass diese Zielgruppen nicht dennoch sehr, sehr viel mitbekommen. Wer das weiterhin behauptet und ausschließlich auf „Old School“-Marketing, Vertrieb und Pressearbeit setzt, lügt sich in die eigene Tasche.

Gastautor Sven Hansel, IT- und Wirtschaftsjournalist

Bildquelle: AdobeStock / Fotolia

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