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Mimikama schlägt den Mob

Warum journalistische Angebote und Methoden besser sind als ihr momentaner Ruf

Warum journalistische Angebote und Methoden besser sind als ihr momentaner Ruf

Mitunter gibt es ja Meldungen, die sind Balsam für die Journalistenseele. ImPR-Journal etwa. Da stand „Die Reichweite einer Organisation in den sozialen Medien wird vor allem durch ihre Sichtbarkeit in den Massenmedien bestimmt. Dies zeigt die Studie „Social media and organizational visibility“ mit Blick auf einige der 500 umsatzstärksten Unternehmen der Welt sowie auf einflussreiche Non-Profit-Organisationen. Die US-Studie der Autoren Aimei Yang und Michael Kent aus dem vergangenen Jahr belegt: Die Aktivitäten einer Organisation im Social Web erhöhen deren Beachtung in den traditionellen Massenmedien kaum. Umgekehrt sagt die Reichweite massenmedialer Berichte über die Organisation meist auch eine hohe Reichweite im Social Web voraus. Das funktioniert unabhängig davon, ob die Organisation Social Media als Einwegkommunikation oder als „echtes“ Dialogangebot nutzt.“

Mit anderen Worten: Die „Lügenpresse“ – sorry, das musste an dieser Stelle mal sein – ist also doch nicht so verzichtbar, wie es uns manch (selbst ernannte) Medienprofis derzeit weiß machen wollen, die sich primär als „Social Media-Berater“ oder „Transformationsberater“ auf dem Markt tummeln.

Damit kein falscher Zungenschlag entsteht: Social Media als dialogische Medien sind heute für nahezu jede Organisation und für jedes Unternehmen unverzichtbar. Ganz egal, ob es um den Drei-Mann-Betrieb oder den Dax-Konzern handelt.

Die tiefer gehende thematische Auseinandersetzung, das so genannte Agenda-Setting, findet allerdings heute noch primär in den klassischen Medien statt. Dazu zwei Beispiele.

Erstes Beispiel: Rein von der Userzahl betrachtet, ist Facebook zwar ein Gigant – aber als Themen-Anker eher von zweifelhafter Qualität. Das geht sogar so weit, dass es erst eine Initiative wieMimikamaschafft, Licht in das Dunkel der hunderttausendfachen Falschmeldungen zu bringen, die tagtäglich auf der Plattform kursieren.

Diese förderungswürdigeInitiativeschafft es, woran die angeblich ach so intelligente „Crowd“ oftmals so jämmerlich scheitert: Sachlich nüchtern darüber aufzuklären, dass das Video des brutalen Übergriffs eines Migranten gefälscht ist. Oder dass eben keine rumänischen Banden tagaus tagein mit einem weißen Lieferwagen durch Deutschland fahren, nur um kleine Kinder zu entführen.

Mimikama ist das wichtige Stoppschild, wenn der Kommentar-Mob mal wieder mit Schaum vor dem Mund ausflippt. Und: Mimikama ist im Grunde nichts anderes als ein neues journalistisches Angebot, das wohltuend aufhellt, aber sich primär in den sozialen Medien bewegt.

Verstehen Sie jetzt, warum Facebook so scharf darauf ist, dass klassische Medien ihre Inhalte in Zukunft bestenfalls ausschließlich dort ausspielen? Klar, das ist ein Rettungsanker vor allem für Verlage. Aber als Signal sollte man das doch nicht unterschätzen. Hier können beide Seiten gewinnen. Und auch, wenn es dabei oft um das Überleben der tradierten Häuser gehen wird – von wem sollten die Inhalte sonst kommen?

Zweites Beispiel: das lächerliche Prinzip der „Reichweite“. Sie heißenDagiBeeoderLeFloid. Auf ihren YouTube-Kanälen erreichen sie Millionen an jugendlichen Zusehern – oder besser Fans. Und auch ihre Twitter- und Facebook-Aktivitäten sind von der Follower-Zahl gigantisch.

Aber, ja und? Denn warum sucht die digitale Wirtschaft dann mehr als händeringend nach einem neuen Rezept zur Erfolgsmessung, wenn Reichweite angeblich so wichtig ist? Und warum sind Angebote mit inhaltlicher Tiefe – völlig unabhängig von der anvisierten Zielgruppe – in den neuen Medien auch im Jahr 2015 noch Mangelware?

Ganz klar, wie es auch die oben erwähnte Studie bestätigt. Es gibt einen kleinen aber feinen Unterschied zwischen „Reichweite“, „Sichtbarkeit“ und echter, nachhaltiger „Beachtung“.

Dass das so ist, zeigt beispielsweise auch die rührendeModerationvon Claus Kleber im ZDF. Diskutiert wurde das in den sozialen Medien, aber seinen Ursprung hatte das Stück um den sympathischen Busfahrer bei den Journalisten derKrautreporter. Und – passende oder unpassende Emotionalität des Moderators hin oder – last but not least ist es eine Kunst, eine solche Moderation zu schreiben, die sowohl Fakten transportiert als auch Gesprächsstoff bietet. Eine journalistische Kunst.

Gastautor Sven Hansel, IT- und Wirtschaftsjournalist

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