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„Gamification“ – das Killerspiel der Personalentwicklung

Wieso Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels auf umsichtige Führung und Talentmanagement setzen sollten.

Wieso Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels auf umsichtige Führung und Talentmanagement setzen sollten.

Kennen Sie noch den Begriff „Killerspiel“? Vordergründig ging es in der hitzigen Diskussion um Computer-Games. Um Ego-Shooter, in denen der Spieler alles niedermetzeln muss, was er vor die virtuelle Flinte bekommt. Und dies sei, argumentierten zumindest offensichtlich sehr besorgte hiesige Politiker seinerzeit, das Schlimmste, was der Spieleindustrie jemals eingefallen sei. Im Koalitionsvertrag der großen Koalition hielt deshalb 2005 sogar ein entsprechender Verbotspassus Einzug – um anschließend in der Bedeutungslosigkeit zu versanden. Das ist die eine Deutungsmöglichkeit.

Viel interessanter ist eine zweite: Mit der Definition des Begriffs bediente die Politik schlicht Ängste, schürte Ressentiments, polarisierte und versuchte so eine bestimmte Klientel für sich zu gewinnen, vulgo: sie machte Wahlkampf. Man kennt das ja.

Spieleindustrie verzieht sich
Viel schlimmer sind jedoch die daraus entstandenen Konsequenzen. Ganz gleich, ob es nun echte Sorge oder plumper Wahlkampf war. Letztlich trug Deutschlands Politik mit ihrem Kreuzzug maßgeblich mit dazu bei, dass ein viel versprechender Industriezweig hierzulande den Bach runterging. Denn Deutschland war einige Jahre gar nicht so schlecht, wenn es um die Entwicklung neuer Computerspiele ging. Und Ego-Shooter – das kann man finden, wie man will – waren und sind nun einmal die absoluten Renner auf dem Markt. Doch die Rahmenbedingungen verschlechtern sich durch das politische Feuer, die Branche war „pfui!“. Bekannte Studios gingen pleite, andere zogen in die USA. Im Klartext: eine wie auch immer geartete wertschöpfende ökonomische Flanke wird auf dem Altar eines Nebenkriegsschauplatzes geopfert und geht zugrunde.

Führungsetagen bauen Mist
Und exakt ein ähnliches Spektakel wiederholt sich nun auch in den Personalabteilungen bestimmter Unternehmen. Hier sind es mal nicht Politiker, sondern die Führungsetagen, die offensichtlich Mist bauen.

Zur Aufklärung ein paar Zahlen. Allein für den öffentlichen Sektor rechnen Experten der Unternehmensberatung PwC bis 2030 mit mehr als 800.000 fehlenden Fachkräften. Man kann also zum sogenannten War for Talents stehen wie man will, aber „der Umbruch ist in den kommenden Jahren geprägt durch die Notwendigkeit, die Fachkräfte der Babyboomerjahre im großen Stile adäquat zu ersetzen und er betrifft nahezu alle Branchen und Berufsgruppen in Deutschland“, so Alfred Höhn, Leiter öffentlicher Sektor bei PwC Deutschland.

Das ist ein nicht wegzudiskutierender Fakt, denn die Demografie ist die einzige Prognosetechnik, die aufgrund der tatsächlichen Geburtenzahlen hieb- und stichfest ist.

Natürlich arbeiten Unternehmen jetzt an entsprechenden Strategien, dieser Herausforderung angemessen entgegen zu treten. Die wichtigste dabei ist sicher ein adäquates Talentmanagement. Prinzip: Die klassische, statische Personalverwaltung mit „Personalakte“ im Leitz-Ordner hat ausgedient. Stattdessen kommen abteilungsübergreifende Softwarelösungen ins Spiel, die in ihrer Gesamtheit lückenlos gleich mehrere Prozesse abdecken; von der Rekrutierung über das Performance-Management bis hin etwa zum Kompetenzmanagement.

Power to the Mitarbeiter
Der Clou daran ist das, was Fachleute Empowerment nennen. Der Begriff („Ermächtigung“, „Bevollmächtigung“) steht dafür, dass Human Relations-Abteilungen und leitende Manager ihren Führungsanspruch ein Stück weit aufgeben und diesen an den Mitarbeiter weiterreichen, er wird also „empowert“, bekommt ein Stück der Macht ab, kann aktiv mitgestalten und wird raus aus der Passivität geholt.

Das gestaltet sich dann in der Praxis beispielsweise derart, dass Weiterbildung nicht mehr nach dem Gießkannenprinzip willkürlich ausgekippt wird („Hmm, ich muss noch drei meiner Vertriebler zum Sales-Seminar anmelden, wer ist denn Mitte Oktober nicht im Urlaub …“), sondern der Mitarbeiter dies nach tatsächlichem Bedarf autonom anstoßen kann. Oder diese Lösungen enthalten Gamification-Elemente. Da sind typische Merkmale von Computerspielen in einem spielfremden Kontext. Beispielsweise lassen sich Bonuspunkte („Creditpoints“) vergeben, die sich dann in der Software wie Medaillen oder Plaketten darstellen. Für besondere Leistungen oder gute Ideen etwa. Beim Erreichen einer bestimmten Anzahl Creditpoints erhält der Mitarbeiter dann ein Incentive, zum Beispiel in Form eines halben Urlaubstages. In den Vereinigten Staaten sind solche Ansätze längst gesetzt. Junge Mitarbeiter lassen sich von Gamification anspornen, mögen diese Elemente sehr.

Gamification wird zum Killerspiel
Zum „Killerspiel“ werden solch prinzipiell guten Ideen jedoch, wenn sie nur noch Makulatur sind. Wenn eigentlich leistungsbereite Mitarbeiter aufgrund von Überlastung gar nicht mehr in der Lage sind, ihren auf diese kreative Art und Weise erarbeiteten Urlaub zu nehmen. Wenn sich renommierte Unternehmen auf die Fahnen schreiben, eine erste Adresse für die besten Talente sein zu wollen – diese dann aber dennoch lediglich im Zuge einer Arbeitnehmerüberlassung einstellen wollen. Wenn Unternehmen die Plakette „Best Place to work“ selbst in die E-Mail-Signaturen ihrer Mitarbeiter pappen und gar nicht genug davon bekommen, damit zu werben – sie aber bei kununu derart viele schlechte Bewertungen kassieren, dass irgendetwas faul sein muss. Wenn all dies eintritt, liebe Arbeitgeber, dann läuft was verkehrt.

Das gilt auch für das nächste „Killerspiel“, den „digitalen Arbeitsplatz“. Wie drückte es ein Kenner der Szene neulich so passend aus: „Employer-Branding, moderne Arbeitsbedingungen und die zeitgemäße Technologisierung der Arbeitsplätze stehen in einem engen Zusammenhang und unterliegen einer enormen Wechselwirkung. Das heißt, das kulturell schwache Unternehmen ist auch mit maximaler Technologie kein Kandidat für verheißungsvolle Talente. Im Umkehrschluss muss sich auch der grundsätzlich nachhaltig eingestellte Arbeitgeber fragen, ob seine Rahmenbedingungen noch zeitgemäß sind. Alles andere ist Etikettenschwindel.“

Falsches Spiel fällt garantiert auf
Und dieser Schwindel fällt auf. In den transparenten Zeiten der Digitalisierung kann nur bestehen, wer es ehrlich mit dem Werben um künftige Führungskräfte meint. Wer stattdessen denkt, eine fadenscheinige Diskussion führen zu können und mit einem Arbeitsplatz à la außen hui und innen pfui reüssieren zu können, wird bereits mittelfristig baden gehen, jede Wette. Das zeigen auch seriöse Studien wie der Gallup Engagement Index. So sind deutsche Arbeitnehmer zwar grundsätzlich zufrieden, aber „dennoch stagniert der Anteil der Arbeitnehmer, die eine hohe emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber aufweisen und dementsprechend mit Hand, Herz und Verstand bei der Arbeit sind, bei 15 Prozent. Ebenso viele Arbeitnehmer haben innerlich bereits gekündigt. 70 Prozent der Beschäftigten sind emotional gering gebunden und machen lediglich Dienst nach Vorschrift.“

Und das wird sich mit Lippenbekenntnissen nicht ändern, dann wird´s ein Killerspiel.

Gastautor Sven Hansel, IT- und Wirtschaftsjournalist

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