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Der „hidden Nobody“

Was Herbert Grönemeyer und der Mittelstand gemeinsam haben.Wir starten das Jahr mit einem alten und sehr aktuellen Thema.

Was Herbert Grönemeyer und der Mittelstand gemeinsam haben.
Wir starten das Jahr mit einem alten und sehr aktuellen Thema.

News über Herbert Grönemeyers aktuelle Tournee mussten die Leser der WAZ-Gruppe woanders suchen. Zwar waren die Vertreter des Tageszeitungs-Verlags ebenfalls auf der Tournee-Pressekonferenz anwesend, aber: „Doch sollten die Journalisten dazu eine schriftliche Vereinbarung unterzeichnen, die dem Künstler im Extremfall einen massiven Eingriff in die Berichterstattung ermöglichen würde. So sah die Vereinbarung vor, dass nicht nur die Zitate im Interviewtext autorisiert werden sollten, sondern auch „Zitate auf dem Titel, in der Überschrift und in Bildunterschriften“. Darüber hinaus sollte zuvor abgesprochen werden, welche Fotos im Zuge der Berichterstattung benutzt werden dürfen“ –schriebdie Zeitung und lehnte die Berichterstattung aus nachvollziehbaren Gründen ab.

 

Politiker, die nach einem Interview – was oft aus eben diesen Gründen seitens der Pressekollegen elektronisch aufgezeichnet wird – dieses fast komplettumdeutenwollen und über ihren Pressesprecher bis ins Absurde umschreiben lassen. Oder eben Prominente wie Sänger Grönemeyer, die sich zu Meinungsdiktatoren aufschwingen wollen: Die Unsitte, die Pressefreiheit mit Füßen zu treten, ist schlicht nicht einzudämmen.

Das Kuriose: Für eben diese Zielgruppe kann die daraus entstehende Negativ-PR manchmal sogar recht dienlich sein. Wer weiß, vielleicht hat der kleine Skandal Grönemeyers Kartenverkauf sogar beflügelt? Denn eines darf man nicht vergessen: In Zeiten der „Lügenpresse“ hat das Image der gesamten Medienszene gelitten und freut sich so mancher Zeitgenosse sicher sogar darüber, wenn die vermeintliche übermächtige Presse abgewatscht wird.

Im Fall von Grönemeyer sogar ein kleines Stück weit verständlich, hat ihn der Boulevard in der Vergangenheit doch auch das ein oder andere Mail mit unfairen Mitteln bedrängt.

 

Ganz anders verhält es sich jedoch, wenn Unternehmen Grönemeyer [&] Co. zum Anlass nehmen, ebenfalls wie diese vorzugehen. Das ist aus drei Gründen falsch. Dazu ein Beispiel aus der Praxis:

 

Journalist: „Guten Tag Unternehmen XY, ich werde über sie berichten. Um den Bericht abzurunden, würde ich gerne auch ihren Umsatz veröffentlichen“

Unternehmen: „Nö, verraten wir aber nicht“

(Journalist geht daraufhin seinen üblichen Rechercheweg und recherchiert, entweder imBundesanzeigeroder bei einer der zahlreich vertretenen Wirtschaftsauskunfteien. Das geht übrigens heute sehr bequem über das Web).

Unternehmen: (ruft zwei Wochen später erbost den Journalisten an) „Hey, was soll das denn, sie haben ja Umsatzzahlen von vor zwei Jahren veröffentlicht. Wir machen doch mittlerweile viel mehr Cash!“

Journalist: „Ja, sehen sie, hätten sie mir besser die Zahlen genannt, oder zumindest der Auskunftei gegenüber die Zahlen mal aktualisiert.“

Unternehmen: (zerknirscht) „Da haben sie wohl Recht“

 

Will sagen und erster Grund: In Zeiten von Internet, Facebook, Twitter und Co. tritt deutlich mehr ans Tageslicht als früher. Es bringt einfach nichts mehr, stumm wie ein Fisch aufzutreten. Bereits namhafte Blogger haben inzwischen eine derartige Reichweite und Strahlkraft, dass sie gar keine Medienhäuser mehr brauchen, um einen geschmeidigenShitstormloszutreten.

Der dadurch entstehende Imageschaden ist allerdings bei Unternehmen deutlich höher einzuschätzen als bei einem Prominenten. Denn der Promi ist nächste Woche bereits drei Geschichten weiter und der Schnee von gestern ist längst getaut. Vor allem Mittelständler, die erfahrungsgemäß eben nicht einmal pro Monat in der Medienwelt vorkommen, schießen sich damit ein 3-Punkte-Eigentor. Und: warum schweigen viele kleine und mittlere Unternehmen überhaupt zu so vielen offensichtlich harmlosen Fragen? Verständlich erläutern konnte mir bis dato kein einziger Firmenchef.

 

Zweiter Grund: Gerade mittlere Unternehmen, die nicht immer auf das Wissen eines presseerfahrenen Mitarbeiters zurückgreifen können, unterschätzen zumeist denStreisand Effekt. Der beschreibt ein Phänomen, „wonach der Versuch, eine unliebsame Information zu unterdrücken oder entfernen zu lassen, öffentliche Aufmerksamkeit nach sich zieht und dadurch das Gegenteil erreicht wird, nämlich dass die Information einem noch größeren Personenkreis bekannt wird.“ Umsätze verschweigen mag vielleicht sogar hie und da noch richtig sein, aber der Versuch, unliebsame Tatsachen unter den Teppich zu kehren, wird immer schwieriger.

 

Der letzte Grund ist jedoch der entscheidendste: Der Firmenchef, der die Story über sein Unternehmen vor Drucklegung nochmal zur „Abnahme“ zugesendet bekommen möchte und auch auf eine freundliche Aufklärung des Journalisten, dies sei aus presserechtlichen Gründen allein auf Zitate beschränkt, pampig und ungehalten wird – kann einpacken. Denn in den meisten Fällen wird dann eben nicht über ihn berichtet. Was umso schlimmer ist, da im digitalen Zeitalter mittlerweile sehr, sehr viele Unternehmen erkannt haben, wie wichtig respektable Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit und Social Media sind. So wird aus einem hidden Champion schnell ein hidden Nobody.

 

Fazit: Ausgeprägte Transparenz mag für kleine und mittlere Unternehmen vielleicht etwas Neues sein – es ist aber per se nichts Schlechtes und man kann damit umgehen. Und geht man damit richtig um, ist der Nutzen gewaltig. Da gehe ich aus Erfahrungsgründen mit jedem Firmeninhaber eine Wette ein.


Gastautor Sven Hansel, IT- und Wirtschaftsjournalist

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