Zum Zeitpunkt der Green Card-Debatte für ausländische qualifizierte IT-Fachkräfte disqualifizierte sich einst ein nordrhein-westfälischer Politiker mit dem Ausspruch „Kinder statt Inder“. Die Auswirkungen dieses tumben Wahlkampfes sind noch bis heute zu spüren, meint zumindest die seriöseTagesschau.
Oder Computerspiele: Auch hier identifizierte die bundesrepublikanische öffentliche Meinung in erster Linie die Risiken statt der Chancen, war „Killerspiele“ eine sehr häufig bemühte Vokabel und drehten, mangels Unterstützung und finanzieller Förderung, zahlreiche Entwickler der Bundesrepublik schließlich enttäuscht den Rücken zu.
Jetzt steht Deutschland erneut am Scheideweg zwischen „Wollen“ und „Nichtwollen“, und wieder einmal geht die Diskussion primär in eine Richtung, Stichwort: „Big Data“. Ganz klar: Vor allem die vorausschauende Datenanalyse birgt Risiken. Die jüngst diskutierteTötungdurch Drohnen auf Grundlage von Datenanalyse ist in der Tat erschreckend und kann nicht gewollt sein. Aber: Ob Krebsforschung, ökonomischer Wohlstand oder Ergründung des Klimawandels, die Welt wird die Big Data-Analyse bereits in der mittelfristigen Zukunft für unverzichtbar halten, jede Wette. Schon heute könnte der Nutzen, den Unternehmen aus Big Data ziehen tatsächlich „big“ sein. Könnte. So ließen die Beteiligten des amerikanischen Gesundheitswesens etwa eine fundierte Big-Data-Analyse anfertigen: Das identifizierteEinsparpotenziallag bei 750 Milliarden US-Dollar – jährlich!
Und neben Rechner-Boliden und erstklassiger Software braucht es für qualifizierte Big Data-Analyse vor allem auch erstklassiges Personal. So kommt es, dass der Big Data Scientist bereits zum „sexiest” Job des 21. Jahrhunderts“ getauft wurde. Diese Spezialisten – und nur sie – sind in der Lage, aus den Unmengen an Daten, die tagtäglich anfallen, Wissen zu generieren. Dafür benötigt man ein solides Informatik-Wissen, eine Menge Statistik-Know-how und vor allem viel antrainierbares Bauchgefühl, das die Entscheidung beeinflusst, welche der Datenberge tatsächlich in einem kausalen Zusammenhang stehen und ausgewertet werden müssen. Sonst kommt nämlich am Ende der Datenkette nur Müll raus, wie der renommierte Statistikprofessor Steven Levitt in seinem BestsellerFreakonomicsnachweisen konnte. Seinen Recherchen zufolge war beispielsweise nicht das massive Investment in Polizeikräfte in den Vereinigten Staaten Ende der 90er-Jahre für das enorme Sinken der Kriminalitätsrate in den US-Großstädten verantwortlich. Sondern das im Vergleich zu Europa erst sehr späte Legalisieren der Antibaby-Pille und der damit verknüpfte Rückgang der Geburtenraten in bestimmten sozialen Milieus.
Solche cleveren Köpfe wie Levitt braucht unser Land. Und sowohl dieFraunhofer Gesellschaftals auch dieUniversität Konstanzunternehmen zumindest erste, ernste Anstrengungen in diese Richtung. Das wird allerdings den enormen Bedarf an Fachkräften der bereits nahen Zukunft sicher nicht decken, und auchExpertenzeigen sich skeptisch, ob die Bundesregierung genug hinsichtlich eines soliden Big Data-Fundaments hierzulande unternimmt.
Denn Risiken hin oder her: dem Data Scientist darf es nicht wie den indischen Fachkräften oder der hiesigen Computerspielindustrie ergehen – zu wichtig sind seine Aufgaben.
Gastautor Sven Hansel, IT- und Wirtschaftsjournalist