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Agilität – nur für Superhelden?

Damit Agilität nicht zur Worthülse verkommt, braucht es mehr als große Worte: die richtigen Taten.

Es gibt Wendungen im „Business-Kasper“-Deutsch, die kann man nicht mehr hören. „Haltet mich bitte im Loop!“ oder „Wir müssen da mal was aufgleisen!“ gehören dazu. Da werden sprachliche Popanze aufgebaut, um einen Mangel an Professionalität, Kreativität oder auch schlicht an Wissen zu verschleiern. Profane Handlungen werden – um mit Bruno Labbadia zu sprechen – „hochsterilisiert“, Potemkin’sche Dörfer versucht, in Festungen aus Beton zu verwandeln, um das Gegenüber statt mit Taten mit Worten zu beeindrucken. Mit einer Portion Fremdscham kann man diesen Irrungen und Wirrungen indes einfach entgehen

Es gibt aber auch Wendungen, die sind gewissermaßen der Endgegner in diesem lästigen Spielchen. Die lassen sich nicht mehr so leicht abschütteln, die belästigen einen allerorts, die verhalten sich wie Kletten.

Alle sind plötzlich agil

„Agilität“ ist hier sowas wie der dreifache Goldmedaillen-Gewinner. „Wir haben uns jetzt agil aufgestellt!“, „Agilität bestimmt unser Handeln in der digitalen Transformation!“ – Fremdscham-Deluxe-Gold. Jede noch so kleine Pommesbude um die Ecke, meint man zu entdecken, schmückt sich jetzt mit dem agilen Attribut.

Die Crux ist indes: In der Tat wäre es wirklich ganz große Klasse, wenn die Mehrheit der Unternehmen tatsächlich und authentisch einen auf agil macht. Denn der Standort Deutschland verliert den Anschluss an die Weltspitze, und das liegt sicher nicht nur an den geforderten Steuerentlastungen.

Beweglichkeit, Flexibilität und Tempo

Was hat es also mit dem Popanz „Agilität“ auf sich? Um das zu klären lohnt – wie so oft in diesen Fällen – ein Blick in die Wortherkunft. Agilität ist eng verwandt mit dem lateinischen agilitas, und das bedeutet so viel wie Beweglichkeit oder Schnelligkeit, im übertragenen Sinne auch die Beweglichkeit oder Biegsamkeit des Charakters.

Tja, und hier fängt´s schon an. Die Consultants von PAC haben vergangenes Jahr mit dem Unternehmen Hays eine Umfrage (ZWISCHEN EFFIZIENZ UND AGILITÄT, Unter Spannung: Fachbereiche in der Digitalisierung) unter 226 Führungskräften, allesamt mit Personalverantwortung, in Unternehmen ab 500 Mitarbeitern aufgelegt mit, nun ja, ziemlich niederschmetternden Ergebnissen: „Agile Revolution fällt aus – Führungskräfte auf „alte Themen“ fokussiert“, „Bestehende Rahmenbedingungen blockieren Transformation“, „Projekte scheitern am tradierten Projektmanagement und an Mutlosigkeit“, „Für den Einsatz agiler Methoden fehlen das notwendige Wissen und ein stimmiges Umfeld“ oder „Führungskräfte wissen um die Notwendigkeit eines Systemumbaus, sind aber selbst darin gefangen“ heißt es da.

Die Realität ist anders

Man kann es kurzfassen: Wenn man einerseits agil sein möchte, aber andererseits die Flexibilität einer Eisenbahn-Schwelle mitbringt, kommt zwangsläufig der Kolbenfresser.

Schaut man auf erfolgreiche Unternehmen, dann zeigt sich sehr schnell, was Agilität tatsächlich bedeutet. Das beste Beispiel dafür ist amazon. Gestartet als Buchhändler im Web, der dann zum weltweit größten E-Commerce-Player aufstieg und sich anschließend mit AWS anschickte, die IT im Handstreich zu erobern. amazon ist eben beweglich. Was heute noch nutzlos zu sein scheint, kann morgen bereits die Welt verändern. Was heute ein Mauerblümchen und Ladenhüter ist, kann morgen bereits ein Renner sein.

Was zeichnet aber diese Agilität im Kern aus?

Alles über den Haufen werfen

Klar, eine Strategie zu haben – aber vor allem, die Bereitschaft, diese auch mal komplett über den Haufen zu werfen. Und das ist alles andere als eine Frage des Geldes.

Vielmehr ist es entscheidend, geistig agil zu werden und zu bleiben. Es kommt darauf an, über alle Abteilungen hinweg, Flexibilität an den Tag zu legen. Die Berater von Kienbaum haben dies in einer Studie für HR-Abteilungen einmal exemplarisch durchexerziert. Zu Agilität gehören etwa die Methodenkompetenz (Design Thinking, SCRUM etc.), Organisationsstrukturen und Steuerungselemente, agile Arbeitsformen (Vertrauensarbeitszeit, flexible Arbeitsplatzwahl), Führungskonzepte und -verhaltensweisen und auch digitale Technologien. Fazit: Die HR-Abteilungen befinden sich, was diese Kategorien angeht, allesamt noch im „Dornröschenschlaf“.

Intuition statt Daten ist falsch

Oder eine andere Untersuchung: Unternehmen in Deutschland wollen agiler entscheiden, um schneller auf Kundenbedürfnisse und neue Wettbewerber zu reagieren. Acht von zehn Managern halten die Einführung passender Methoden und Strukturen für sinnvoll, sieben von zehn bewerten das eigene Unternehmen bereits jetzt zumindest für durchschnittlich agil. Dennoch: Rein klassisch hierarchische Führungsmodelle finden sich noch in jedem vierten Unternehmen. Erst 14 Prozent haben den Umbruch zu einer agilen Organisation mit schnellen, flexiblen Entscheidungswegen geschafft. Zudem stützen sich Entscheider stärker auf Intuition als auf Daten und moderne Technik. Das sind die Ergebnisse der Studie „Potenzialanalyse agil entscheiden“ von Sopra Steria Consulting und dem F.A.Z.-Institut.

In der Tat wäre es sinnvoll, würde Agilität bereits den Kern der Unternehmen hierzulande ausmachen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, siehe Automobilindustrie, gibt es in vielen Branchen vielleicht auch gar keine andere Wahl. Es ist alternativlos, würden Politiker sagen. Aber, wie gesagt, es muss den Kern der Organisationen erreichen. Sonst bleibt es eine Bullshit-Bingo-Worthülse, und das wäre fatal.

Gastautor Sven Hansel, IT- und Wirtschaftsjournalist

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